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Mikrostrukturphysik und Legierungsdesign

Die Abteilung „Mikrostrukturphysik und Legierungsdesign“ untersucht die Grundlagen der Zusammenhänge zwischen Herstellung, Mikrostruktur und den daraus resultierenden Eigenschaften oft komplexer nanostrukturierter Materialien. Der Schwerpunkt liegt auf metallischen Legierungen wie Aluminium, Titan, Stählen, Legierungen mit hoher und mittlerer Entropie, Superlegierungen, Magnesium, magnetischen und thermoelektrischen Legierungen. Um die Mikrostrukturen und Materialeigenschaften eingehend zu untersuchen, werden Simulationen und Charakterisierungsmethoden von der atomaren Ebene bis hin zur makroskopischen Skala eingesetzt. 

Unsere neuesten Forschungsgruppen

Wissenschaftliche Ausrichtung

Wir untersuchen Mikrostrukturen und deren Einfluss auf die Eigenschaften von Materialien, meist Metallen. Die Mikrostruktur umfasst die Struktur, Größe, Dimension, Strukturierung und Chemie aller Gitterdefekte einschließlich Leerstellen, Versetzungen und Grenzflächen. Wir untersuchen einzelne Defekte wie einzelne Leerstellen (mit Feldionenmikroskopie und atomistischem Modellieren) und auch große statistische Defektensembles wie Lichtjahre verschränkter Versetzungslinien (zum Beispiel durch Röntgenbeugung und Kristallplastizitätsmodellierung).

Die Mikrostruktur betrifft alle Materialien, von reinen Einkristallen bis hin zu komplexen technischen Legierungen. Sie kann das mechanische Verhalten eines Materials (z. B. Festigkeit, Duktilität), das elektrochemische Verhalten (z. B. Korrosion, Aufladungsverhalten) und funktionelle Eigenschaften (z. B. magnetische Hysterese, elektrische Leitfähigkeit) um Größenordnungen verändern.

Für das Anpassen von Mikrostrukturen und Chemie arbeiten wir an Legierungsdesign, metallurgischer Verarbeitung, kombinatorischer Synthese, nachhaltiger Produktion und additiver Fertigung.

Unsere wichtigsten Analysewerkzeuge sind die rechnergestützte Materialwissenschaft, maschinelles Lernen sowie Multiskalen- und Multisonden-Mikrostrukturcharakterisierung.

Mit dieser Expertise haben wir im Gegensatz zum traditionellen Try-and-Error-Ansatz einen wissensbasierten Ansatz zur Entwicklung neuer Materialien, Mikrostrukturen, Prozesse und Eigenschaftskombinationen entwickelt, indem wir manchmal antagonistische Eigenschaften wie mechanische Festigkeit, Duktilität und weichmagnetisches Verhalten in Einklang bringen.

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Komplexe Materialien sind seit Anbeginn der Menschheit das Rückgrat der menschlichen Gesellschaft. Heute sind sie in den Bereichen Energie, Industrie, Verkehr, Gesundheit, Bau, Sicherheit und Fertigung unverzichtbar. Mit jährlich mehr als 2 Milliarden Tonnen produzierten Metallen stehen vor allem Metalle für massives Wirtschaftswachstum, Arbeitsplatzsicherheit und Wohlstandssteigerung. Aufgrund der schieren Menge, die produziert und verwendet wird, spielen sie auch eine zentrale Rolle in der Nachhaltigkeit.

Derzeit treten wir aus dem Zeitalter der linearen Industrie in eine Kreislauf- und digitalisierte Wirtschaft ein. Dies bietet enorme Möglichkeiten, die Funktionsweise von Produktion, Transport und Energieversorgung zu revolutionieren. Diese Veränderungen wirken sich auf das tägliche Leben von Milliarden Menschen aus. Fortschrittliche Metalllegierungen, ihre Herstellung und nachgelagerte Verwendung, auch in großem Maßstab, sind der Schlüssel zu diesem Übergang, da sie eine kohlenstofffreie, digitalisierte und elektrifizierte industrielle und städtische Zukunft ermöglichen.

Daher widmen wir all unsere Bemühungen, fortschrittliche Materialien für eine nachhaltige und sichere Zukunft zu verstehen, zu erfinden und zu ermöglichen.

Die Forschungsaktivitäten der Abteilung richten sich auf das Zusammenspiel aller Defekte, die das Gefüge einer Legierung ausmachen, und ihrer lokalen Chemie. Um die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Gesetze dieser Wechselwirkungen aufzudecken, führen wir gut durchdachte Experimente gemeinsam mit voraussagbaren Simulationen durch. Ziel ist die physik-basierte Gestaltung von Materialien mit exzellenten Eigenschaften und nachhaltigen Prozessen für die Bereiche Energie, Mobilität, Infrastruktur und Gesundheit.

Materialklassen und Forschungsfelder

Unsere Gruppe arbeitet an den Grundlagen der Zusammenhänge zwischen Synthese, Mikrostruktur und Eigenschaften oft komplexer und nanostrukturierter Materialien. Der Fokus liegt auf metallischen Legierungen wie Aluminium, Titan, Stählen, Legierungen mit hoher und mittlerer Entropie, Superlegierungen, Magnesium, magnetischen und thermoelektrischen Legierungen. Unser Ziel ist es, die grundlegenden Zusammenhänge zwischen spezifischen thermodynamischen und kinetischen Eigenschaften von Materialien und der Entwicklung der Mikrostruktur und damit deren Auswirkungen auf mechanische und funktionelle Eigenschaften zu verstehen. Daher wählen, synthetisieren, verarbeiten und untersuchen wir Materialien entlang spezifischer intrinsischer Eigenschaftsgradienten, wie z. B. Phasen(meta-)stabilität, Mischkristallgehalt, Stapelfehlerenergie, (thermisches) Umwandlungsverhalten, magnetische Hysterese oder chemische Reaktivität.

Wir untersuchen auch, wie sich solche Materialien in reaktiven und rauen Umgebungen wie hohen und kryogenen Temperaturen, hohen Feldern und mechanischen Belastungen sowie unter Korrosions- und Wasserstoffbelastung verhalten. Unsere Experimente zielen auf tiefgreifende und allgemeine Erkenntnisse ab, die auf theoretischen Konzepten basieren. Wir kombinieren rechnergestützte Materialwissenschaften, maschinelles Lernen, Synthese, Verarbeitung mit Charakterisierung bis hin er zu atomaren und elektronischen Skalen. Viele Projekte werden in enger Kooperation mit anderen Abteilungen und außeruniversitären Partnern verfolgt.

Besondere methodische Kompetenzfelder

Rechnergestützte Materialwissenschaft: Unsere Expertise auf diesem Gebiet liegt in der Theorie der Mikromechanik und ihrem nichtlinearen Zusammenspiel mit der Chemie und Phasenumwandlungen mittels konstitutiver Modellierung. Wir haben auch damit begonnen, die Wechselwirkung von Mikromechanik und Redoxreaktionen in unsere Simulationen einzubeziehen, wie sie beispielsweise zur Beschreibung von Materialzerfall, Korrosions- und Reduktionsprozessen in Energieumwandlungsanwendungen, rauen Umgebungsbedingungen und metallurgischer Nachhaltigkeit benötigt werden. Über mehr als 25 Jahre fließen unsere Forschungserfahrungen und Simulationscodes in das Softwarepaket DAMASK ein, ein kostenloses Simulationskit zur Modellierung multiphysikalischer Kristallplastizität, thermischer, Phasenumwandlungs- und Schadensphänomene vom Einkristall bis zur Bauteilskala.

Multiskalen- und Multisonden-Mikrostrukturcharakterisierung: In diesem Bereich wenden wir vollständig korrelative atomare und mesoskalige Sondierung von Struktur, Defekten und Chemie an genau derselben Materialposition an, um gemeinsam strukturelle, chemische und Eigenschaftsmerkmale zu untersuchen, z.B. von chemischen Dekorations- und Transformationsphänomenen an internen Grenzflächen, Umweltzerstörung, Versetzungen oder sogar einzelnen Leerstellen. Dazu verwenden wir Kombinationen aus Atomsondentomographie (APT), Electron Channeling Contrast Imaging unter kontrollierten Beugungsbedingungen (ECCI), 3D-Elektronenrückstreubeugung (EBSD), cross-korelliertes EBSD und Feldionenmikroskopie (FIM), oft gekoppelt mit Simulation und maschinellem Lernen, für eine verbesserte Quantifizierung der Daten.

Legierungs- und Prozessdesign: In diesem Bereich arbeiten wir daran, Werkstoffe herzustellen, die Eigenschaftsprofile mit oft widersprüchlichen Eigenschaften aufweisen, wie z. B. hohe mechanische Festigkeit und gute Duktilität, Bruchzähigkeit, thermoelektrische Leistung, Wasserstoffversprödungsbeständigkeit oder funktionale Eigenschaften. Auf der Suche nach Prozessen, Mechanismen und Materialien für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ermöglicht uns der mikrostrukturzentrierte Ansatz, Wege zu einer verbesserten Nachhaltigkeit metallischer Werkstoffe aufzuzeigen. Dazu gehören Bereiche wie kohlendioxidreduzierte Primärproduktion, Recycling von Metallen, schrottgerechtes Legierungsdesign, Schadstoff- und Wasserstofftoleranz von Legierungen, Wasserstoff-Plasma-basierte Reduktion, Elektrolyse zur Reduktion von Oxiden und wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenerzen.

Prozesse, Mechanismen und Materialien für Nachhaltigkeit und eine Kreislaufwirtschaft: Der mikrostrukturzentrierte Ansatz der Abteilung ermöglicht es uns, unsere neueste Forschungsaufgabe zu erfüllen, nämlich Wege zu einer verbesserten Nachhaltigkeit metallischer Werkstoffe zu benennen, in Bereichen, die die CO2-reduzierte Primärproduktion, Recycling von Metallen, schrottgerechtes Legierungsdesign, Schadstoff- und Wasserstofftoleranz von Legierungen, Wasserstoff-Plasma-basierte Reduktion, Elektrolyse zur Reduktion von Oxiden und wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenerzen beinhalten. Zu diesem Zweck haben wir eine Reihe von Reaktoren im Labormaßstab konstruiert und modifiziert, in denen entsprechende Experimente unter gut kontrollierten reaktiven Randbedingungen und Temperaturkontrolle sowie permanenter In-Operando-Überwachung durch Massenspektrometrie durchgeführt werden können. Diese Experimente werden in enger Zusammenarbeit mit der Gruppe von M. Rohwerder in der Abteilung Grenzflächenchemie und Oberflächentechnik durchgeführt.

Themen mit hoher Aktivität sind derzeit die wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenoxiden, die wasserstoffplasmabasierte Produktion sowie das Schmelzen von Oxiden in Elektrolichtbogenöfen und die Gestaltung von Legierungen, die möglichst hohe Schrott- und damit Fremdstoffanteile vertragen.

Abteilungsstruktur und Forschungsgruppen

Die Struktur und Organisation der Abteilung spiegelt unser Verständnis von grundlagenorientierter und zugleich hochflexibler Forschung wider. Einige der Forschungsgruppen verfolgen langfristige Visionen von hoher strategischer und methodischer Relevanz für den Auftrag der Abteilung.

Einige andere Gruppen sind nicht permanent, temporäre Gruppen, und werden in der Regel extramural finanziert. Fördergeber sind zum Beispiel die MPG-FhG-Kollaboration, ERC, DFG, BMBF oder die VW Stiftung. Dies trägt dazu bei, schnell neue Initiativen zu etablieren und jungen wissenschaftlichen Führungskräften die Möglichkeit zu geben, eigene Ideen zu verfolgen und neue Initiativen zu entwickeln.

Eine weitere Kategorie von Gruppen, abteilungsübergreifende & Partner Gruppen, sind zwischen den Abteilungen und zwischen dem MPIE und anderen Partnerinstitutionen angesiedelt. Diese Gruppen werden häufig auch durch außeruniversitäre Drittmittel oder durch Partnerschaftsprogramme der Max-Planck-Gesellschaft gefördert. Sie etablieren neue Forschungsfelder, die zwischen den einzelnen Abteilungen liegen und bilden so Zentren für eine intensive fächerübergreifende Forschung, die Kompetenzen aus allen Abteilungen und aus institutsexternen Zentren zusammenfügt.

Die langfristigen Forschungsgruppen, permanente Gruppen, in der Abteilung arbeiten an Atomsondentomographie (Baptiste Gault), Mechanismen-basierte Legierungsentwicklung (Dirk Ponge), Mikroskopie und Beugung (Stefan Zaefferer), Mikrostruktur und Grenzflächen von Batteriematerialien (Yug Joshi) und Theorie und Simulation (Franz Roters) Fig.1.

 

 

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