Micro goes Macro

Ein 3-dimensionales Mikrostruktur-Charakterisierungssystem: vollautomatisch, hochauflösend und effizient

25. August 2020

Wir stehen in einem großen Raum mit verschiedenen Geräten: einem hochauflösenden Rasterelektronenmikroskop, einem Probenpolierautomaten und einem Roboterarm. Alles eingebettet in ein Computersteuerungssystem.

Dr. Shao-Pu Tsai, Postdoktorand in der Gruppe Mikroskopie und Beugung, legt eine Metallprobe in den Polierautomaten. Die Maschine justiert die Probe und folgt dann einem vorgegebenem Ablaufplan. Es soll eine etwa 1 µm dicke Schicht entfernt werden, wofür eine Reihe verschiedener Polierschritte notwendig sind.

Während wir über die Möglichkeiten der 3D-Charakterisierung diskutieren, bewegt sich die polierte und gereinigte Probe automatisch in die Transferstation innerhalb der Poliermaschine. Ganz von selbst löst die Maschine die Probe aus der festen Halterung. Der Roboterarm bewegt sich sanft zur Poliermaschine, nimmt die Probe auf und wendet sich dem Rasterelektronenmikroskop zu, welches genau neben der Poliermaschine steht. Der Roboter öffnet die Analysekammer des Mikroskops, legt die polierte Probe hinein und schließt die Kammer wieder. Das Mikroskop startet sofort mit dem vorgegeben Ablaufplan: Pumpen, Einstellen der Probenposition, Einschalten des Elektronenstrahls, Aufnahme von Elektronenbildern der Probe in verschiedenen Vergrößerungen und schließlich ein großflächiger, kristallographischer und kompositorischer Scan. Nur wenige Minuten später erscheint eine Mikrostrukturkarte der Probenoberfläche als Falschfarbenbild auf den zahlreichen Computerbildschirmen neben dem Mikroskop.

Nach dem Scan der Probenoberfläche, öffnet der Roboter die Analysekammer, entnimmt die Probe, schließt die Kammer wieder und kehrt zur Poliermaschine zurück, um den gesamten Vorgang zu wiederholen. Jede polierte und gescannte Oberfläche stellt schließlich eine Scheibe in einem dreidimensionalen Datenblock dar. Dieser Datenblock kann bis zu 500 × 500 × 500 µm³ groß sein, gemessen in Schritten von 1 µm in jeder Raumdimension.

"Der gesamte Vorgang dauert etwa 15 Minuten, vom Einlegen der Probe in die Poliermaschine bis zur Anzeige der ersten Ergebnisse des Scanvorgangs. Wir sind in der Lage, 40 Scheiben pro Tag zu analysieren, und das ganze System arbeitet 24 Stunden ohne Pause. An einem Wochenende können wir bis zu 30 Millionen Datenpunkte sammeln", erklärt Tsai.

Aber warum brauchen wir so große Datenmengen?

"Vor der Entwicklung dieses Systems konnten wir Korngrenzen nur zweidimensional charakterisieren und nur erahnen, wie sie in der Legierung verteilt sind. Dieses System erlaubt eine 3D-Charakterisierung der Korngrenzen. Wir können uns jetzt auf die Analyse der Daten konzentrieren, anstatt Zeit und Mühe auf den Polier- und Mikroskopieprozess zu verwenden", erklärt Dr. Stefan Zaefferer, Leiter der Gruppe Mikroskopie und Beugung.

Er und sein Team haben dieses System am MPIE aufgebaut. Sie kombinierten dabei kommerziell erhältliche Geräte mit Geräten, die in den mechanischen und elektronischen Werkstätten des MPIE hergestellt wurden. "Ich bin besonders stolz auf diese interne Zusammenarbeit von Materialwissenschaftlern, Software-Entwicklern und verschiedenen Technikern. Der Softwareentwickler, der die Kommunikation zwischen dem Mikroskop und dem Roboter aufgebaut hat, ist ein Absolvent unseres Ausbildungsberufs zum mathematisch-technischen Softwareentwickler. Den Probenhalter für die Poiliermaschine und das Mikroskop hat unsere mechanische Werkstatt entworfen und produziert. Die Kommunikations-Hardware, die wir dafür benötigen, um die verschiedenen Geräte aufeinander abzustimmen, hat die elektronische Werkstatt konstruiert", so Zaefferer. Jetzt können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Morphologie der Korngrenzen analysieren und  zum Beispiel sehen, welche Korngrenzen im Edelstahl korrodieren. Sie verstehen auch, warum dies geschieht und wie die Korrosion verhindert werden kann. Zukünftig wäre es denkbar, dieses automatisierte System mit großen Daten- und maschinellen Lernprogrammen aus der Abteilung Computergestützes Materialdesign zu verbinden.

Zur Redakteursansicht