05: Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Eisenforschung in der Zeit des Nationalsozialismus

Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten florierte das Kaiser-Wilhelm-Institut für Eisenforschung (KWIE) durch die nationalsozialistische Aufrüstung und dem damit verbundenen unersättlichen „Hunger nach Eisen“.[1]

Dabei entwickelte sich das KWIE zu einer der weltweit modernsten Forschungseinrichtungen seiner Zunft.[2] Der Aufschwung des KWIE ab 1933 wurde nicht zuletzt augenfällig durch die Realisierung des seit Jahren immer wieder verschobenen Neubaus. Denn aufgrund des einsetzenden Rüstungsbooms konnte die Eisenhüttenindustrie nunmehr wieder finanzielle Mittel für einen Neubau des Instituts bereitstellen. Zusammen mit Hilfe von Subventionen aus Arbeitsbeschaffungsprogrammen und mit Unterstützung der Stadt Düsseldorf konnte der Bau schließlich verwirklicht und das neue Institutsgebäude an der August-Thyssen-Straße, der heutigen Max-Planck-Straße, in Düsseldorf-Düsseltal im Herbst 1935 bezogen werden.[3]

Bereits seit Dezember 1933 war das KWIE in den interinstitutionellen Forschungsverbund des Reichsluftfahrtministeriums integriert. In verschiedenen Forschungsgruppen beteiligte sich das KWIE zusammen mit der Industrie an Untersuchungen zur Luftfahrtrüstung.[4]

Den Hauptforderungen des von Hitler initiierten und von Hermann Göring institutionalisierten Vierjahresplanes zur Errichtung eines autarken „Wehrstaates“ entsprechend, intensivierte das Institut seine Untersuchungen zur Qualitätsverbesserung des deutschen Stahls und seiner Herstellungsverfahren, sowie zur verstärkten Ausnutzung heimischer Rohstoffe und zur Einsparung von Devisen.[5] Das KWIE leistete dabei nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Verlängerung der knappen Rohstoffdecke, sondern auch zur Optimierung von Werkstoffen für Waffensysteme.[6]

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 nahmen Ziel, Umfang und Wichtigkeit der kriegsrelevanten Forschungsaufgaben zu, die dem Institut von den verschiedenen Wehrmachtsstellen übertragen wurden. So ergaben sich enge Verbindungen zu Luftwaffe, Heer und Marine. Dies führte dazu, dass das KWIE im Jahr 1940 zum „Wehrwirtschaftsbetrieb“ ernannt wurde. Neben der Entwicklung von Ersatzstoffen und neuen Legierungssystemen beteiligte sich das Institut an der Untersuchung von Panzergleisketten, Maschinengewehren, Granaten, Patronen sowie Hochleistungsstählen für Schusswaffenläufe, Panzerungen, Geschützrohre und Flugzeuge.[7] All dies machte das KWIE zu einem Zentrum rüstungsrelevanter Wissensproduktion im Dritten Reich.

Auch personell bestanden enge Verbindungen des Instituts zum Nationalsozialismus: Die umfangreiche Einbindung des Instituts in die Rüstungsforschung war nicht zuletzt auf den Stahlindustriellen und seit 1936 amtierenden Kuratoriumsvorsitzenden des KWIE, Albert Vögler, und dessen enge Beziehungen zum Rüstungsministerium zurückzuführen. Neben Emil Kirdorf und Fritz Thyssen gehörte Vögler seit Anfang der 1930er Jahre zu einem der wichtigsten Unterstützer der NS-Bewegung innerhalb der Schwerindustrie.[8] Er fungierte darüber hinaus seit dem Jahr 1941 als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG).[9]

Direktor Friedrich Körber, der nach seinem Wirken für das KWIE in den 1920er Jahren auch nach 1933 an der Spitze des Instituts verblieben war, sowie die gesamte Institutsleitung waren Mitglieder der NSDAP.[10] Die wissenschaftlichen Mitarbeiter waren durch ihre Mitwirkung in den zahlreichen institutsübergreifenden Querverbünden und Gremien in den nationalsozialistischen Rüstungskomplex bestehend aus Industrie, Wissenschaft, Militär und staatlichen Stellen eingebunden. Körber wurde darüber hinaus 1943 zum Fachspartenleiter Eisen und Stahl im Reichsforschungsrat (RFR) ernannt. Der Reichsforschungsrat war 1937 als Instrument des Heereswaffenamts und des Reichswissenschaftsministeriums gegründet worden, um mit der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung die Ziele des Vierjahresplans umzusetzen.[11]

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs war bei den meisten Mitarbeitern des KWIE eine allgemeine Kriegsbegeisterung und ein hoher Grad an Selbstmobilisierung festzustellen, welche aus deren eigener nationalistischer Grundhaltung resultierte und zusätzlich von Direktor Körber und der Generalverwaltung der KWG weiter angefacht wurde.[12]

Insgesamt kann der KWG eine vorauseilende Anpassung an den NS-Staat attestiert werden. Diese weitgehende „Selbstgleichschaltung“ fand unter anderem ihren Ausdruck in der Entlassung jüdischer Mitarbeiter, die auf der Grundlage des am 7. April 1933 erlassenen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erfolgte und innerhalb der KWG zügig und rückhaltlos umgesetzt wurde.[13] Für das Düsseldorfer Institut können keine Entlassungen nachgewiesen werden.

Die bereitwillige Teilhabe am NS-System zahlte sich für die KWG insgesamt aus, was sich insbesondere in der Vermehrung ihrer Institute und finanziellen Zuwendungen zeigte.[14] Die Beteiligung an der Rüstungsforschung war förderlich für die Reputation der KWG im Nationalsozialismus und wurde daher immer weiter intensiviert. Die meisten Wissenschaftler betrachteten die Zusammenarbeit mit militärischen Dienststellen nicht nur als selbstverständlichen Dienst am Vaterland, sondern auch als Möglichkeit, zusätzliche finanzielle Mittel für ihre Forschungsarbeiten zu erhalten.

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[1] Flachowsky, Sören: Von der Wagenburg der Autarkie zu transnationaler Zusammenarbeit. Der Verein Deutscher Eisenhüttenleute und das KWI/MPI für Eisenforschung 1917-2009, in: Maier, Helmut; Zilt, Andreas; Rasch, Manfred (Hrsg.): 150 Jahre Stahlinstitut VDEh 1860-2010, Essen 2010, S. 671-708, S. 683.

[2] Flachowsky, Sören: Das Max-Planck-Institut für Eisenforschung Düsseldorf; in: Gruss, Peter; Rürup, Reinhard (Hrsg.): Denkorte. Max-Planck-Gesellschaft und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Brüche und Kontinuitäten 1911-2011, Dresden 2010, S. 128-135, S. 130.

[3] Ebd., S. 683f.

[4] Ders.: „Alle Arbeit des Instituts dient mit leidenschaftlicher Hingabe der deutschen Rüstung“. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Eisenforschung als interinstitutionelle Schnittstelle kriegsrelevanter Wissensproduktion 1917-1945, in: Maier, Helmut: Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigte und der Wissenstransfer: die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im System kriegsrelevanter Forschung des Nationalsozialismus, Göttingen 2007, S. 153-214, S. 170-177.

[5] Flachowsky: Von der Wagenburg der Autarkie zu transnationaler Zusammenarbeit, S. 684.

[6] Ebd., S. 687.

[7] Ebd.

[8] Hachtmann, Rüdiger: Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (2 Bde.), Göttingen 2007, Bd. 2, S. 850.

[9]  Flachowsky: Von der Wagenburg der Autarkie zu transnationaler Zusammenarbeit, S. 687.

[10] Ebd., S. 689f.

[11] Der RFR war in einzelne Fachsparten untergliedert, welche von meist anerkannten Wissenschaftlern geleitet wurden, die die Aufgabe hatten, Forschungsaufträge zu beurteilen und zu vergeben. Flachowsky: „Alle Arbeit des Instituts …“, S. 193 u. S. 199f.

[12] Hachtmann, Rüdiger: Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“, Bd. 2, S. 813.

[13] Renn, Jürgen; Kant, Horst; Kolboske, Birgit: Stationen der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft, in: Hoffmann, Dieter; Kolboske, Birgit; Renn, Jürgen: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“. Auf dem Weg zu einer Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft, 2. erweiterte Aufl., Berlin 2015, S. 5-120, S. 34.

[14] Ebd., S. 39 ff.

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