Smarte Strukturmaterialien für mehr Sicherheit

Die Volkswagen Stiftung fördert die Entwicklung intelligenter Materialsysteme am Max-Planck-Institut für Eisenforschung mit 100.000 Euro

9. Januar 2017

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Fahrzeug stößt frontal gegen einen Passanten. Doch statt mit voller Festigkeit auf ihn zu prallen, verändert sich die Frontpartie des Fahrzeugs in einem Sekundenbruchteil und wird so weich, dass sowohl dem Passanten als auch den Fahrzeuginsassen kaum etwas passiert. Würde das gleiche Fahrzeug jedoch gegen einen Baum krachen, so erhöht die Karosserie ihre Festigkeit und die Insassen sind noch besser geschützt als bisher.

Dieses Szenario klingt zwar wie Science Fiction, soll aber durch die aktuelle Forschung von Dr. Christoph Kirchlechner vom Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) in naher Zukunft Realität werden. Die Volkswagen Stiftung fördert diese bahnbrechende Idee mit 100.000 Euro innerhalb ihres Programms „Experiment!“.

Gegenwärtig sind die mechanischen Eigenschaften von Strukturmaterialien durch ihre chemische Zusammensetzung und Mikrostruktur definiert und können nur während des Herstellungsprozesses, zum Beispiel durch eine Wärmebehandlung, beeinflusst werden. Kirchlechners Idee basiert darauf, kleinste, schaltbare Partikel während des Herstellungsprozesses in das Material einzubauen. Das Besondere an diesen Partikeln ist, dass sie sich entweder durch magnetische oder elektrische Felder verformen lassen und somit die Eigenschaften des Gesamtmaterials entscheidend verändern. „Das Schöne an der Forschung in Max-Planck-Instituten ist ja, dass man den Fokus ganz auf wissenschaftliche Ideen legen kann – und diese dabei durch nicht-wissenschaftliche Restriktionen nicht behindert wird. Dass meine gewagte Idee nun auch von der Volkswagen Stiftung gefördert wird, ist eine besondere Auszeichnung, die klar zeigt, dass unsere Wissenschaft für die Gesellschaft und Industrie von höchster Relevanz ist. Und so etwas motiviert natürlich jeden Wissenschaftler“, so Kirchlechner. Dabei geht der junge Gruppenleiter davon aus, dass er die Festigkeit um das Zweifache vom Ausgangsmaterial erhöhen kann. Weicher wird das Material voraussichtlich um bis zu 50 % des Ausgangszustandes.

In der Anfangsphase des Projektes wird sich Kirchlechner auf kleinste Materialproben und Dünnschichten konzentrieren, um ohne großen Aufwand im Labormaßstab ausreichend starke elektrische und magnetische Felder erzeugen zu können. Getestet wird das Materialkonzept an Aluminiumlegierungen, Stahl und an Hartstoffschichten.

Dr. Christoph Kirchlechner ist seit 2013 Leiter der Forschungsgruppe Nano- / Mikromechanik der Abteilung Struktur und Nano- / Mikromechanik am MPIE. Zeitgleich ist er beurlaubter Assistenzprofessor an der Montanuniversität Leoben, Österreich. Er beschäftigt sich vor allem mit der Plastizität und Ermüdung von Materialien auf der Nanometerskala.

Die Volkswagen Stiftung fördert mit ihrem Programm „Experiment!“ besonders gewagte Forschungsideen, die durch etablierte Förderangebote aufgrund ihres hohen Risikopotentials nicht gefördert werden würden. Sie stellt 100.000 Euro für 18 Monate bereit und unterstützt somit die Startphase von Forschungsvorhaben, wobei auch das Scheitern des Konzepts oder unerwartete Ergebnisse akzeptiert werden. 2016 wurden insgesamt 544 Anträge gestellt, von denen 18 gefördert werden.

Autorin: Yasmin Ahmed Salem, M.A.

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